Die Richard-Siegmann-Stiftung bietet einen Raum, um über Fragen unserer Zeit miteinander ins Gespräch zu kommen. Besonders im Jahr 2023 gab es eine zunehmende Polarisierung innerhalb unserer Gesellschaft zu beobachten – eine neue Kriegsrhetorik, verbunden mit der Unfähigkeit zum Dialog, eine verschärfte Abgrenzung und Ausgrenzung auch innerhalb der Stadtgemeinschaft. Unter dem Eindruck eng aufeinanderfolgender Krisen schien die Gefahr der Spaltung in Lager, der Verallgemeinerung von der inhaltlichen Position zur Ablehnung einzelner Personen zu wachsen. Intransparenz, vernachlässigte Kommunikation und vorschnelles Handeln führten zu Vertrauensverlust und Mutmaßungen, die die Gesellschaft zerrissen. Umso mehr ging es in diesen Zeiten darum, eine gute Streitkultur und konstruktive Dialogfähigkeit zu fördern und zu stärken.
Aufklärung, Dialog, Streitkultur, Mobilisierung, Vernetzung und Multidimensionalität – das sind die Leitziele, die die Stadtgespräche seit 1995 konstant und unermüdlich verfolgen. Diese Schaffung von Aushandlungsorten findet auf allen Ebenen statt, die unsere Stadtgesellschaft zu bieten hat und lädt aktiv Bürger:innen zur Partizipation an diesem Gemeinschaftsprojekt ein. Die Stadtgespräche sind eine Institution der Transparenz und der Impulsgebung, die die kulturelle Landschaft in Rostock in vielen Arealen bereichert. Es ist schwer, ähnliche Akteur:innen des öffentlichen Lebens in unserer Heimatstadt zu finden, die zugleich so präsent-aktiv und doch für viele Menschen so unsichtbar-bescheiden in der zweiten Reihe verweilen, weil sie eben genau das tun, was in dieser Ausschreibung gewürdigt werden soll: Einen Diskursraum für integrative Dialoge mit moralisch integren Prämissen schaffen.
Der Zukunftsladen ist seit 2020 im Stadtteil Toitenwinkel aktiv. Durch die offene Kultur und verschiedene Aktivitäten des Zukunftsladens entstanden mehr und mehr Brücken zur Nachbarschaft. Die Betreiberinnen haben Menschen und ihre Lebenssituation kennengelernt und den Sozialraum mit verschiedenen Formaten im öffentlichen Raum erobert. Dabei erfuhren und erfahren sie direkt und ganz konkret die gesellschaftlichen Spaltungen, die sich vor Ort vollziehen und das Miteinander im Stadtteil belasten. Der Zukunftsladen-Team sorgt hier für politische Bildung und einen Abbau von Vorurteilen, indem es Begegnungen und Diskurse ermöglicht, gemeinsames Lernen fördert, Haltung und Orientierung in polarisierenden, hitzigen gesellschaftlichen Entwicklungen bietet. Schritt für Schritt entsteht hier ein Nachbarschaftsnetzwerk über gesellschaftliche Spaltung hinweg, das Menschen aus unterschiedlichsten Lebenssituationen und -bedingungen zusammenbringt. Viele Menschen aus unterschiedlichsten gesellschaftlichen Positionen und deren sozialen, lebensweltlichen und ökonomischen Konsequenzen sind Teil des Zukunftsladen geworden.
Mit viel Geduld, Kompetenz und einem liebevollen Blick auf die ihr anvertrauten Kinder gelang es Lena Bergmann im vergangenen Jahr, Schulanfänger aus ganz verschiedenen Kulturkreisen innerhalb weniger Monate zu einer wirklichen Gemeinschaft zusammenzuführen. Sie etablierte in ihrer Klasse eine Kultur, in der man sich Fehler verzeiht, Probleme offen bespricht und auf Augenhöhe miteinander umgeht. Lena Bergmann hat dabei die unterschiedlichen Lebenswelten der Kinder gut im Blick und findet auch mit den Eltern eine gute, respektvolle Kommunikation, gleichermaßen verständnisvoll und professionell. Sie steht stellvertretend für viele Pädagog*innen in Rostock, die jeden Tag aufs Neue kleine Heldentaten für Dialogfähigkeit und eine gute Streitkultur erbringen – indem sie sie Kindern vorleben, vermitteln und auch in die Familien und das weitere soziale Umfeld tragen.
Seit Ende 2020 in Rostock als Polizeihauptkommissarin der Bundespolizei tätig, hinterfragte Chiara Malz konsequent die Rahmenbedingungen zur Europäischen Flüchtendenpolitik und den Umgang mit der Einreise von Ausländer:innen. Ihre Maxime war hier stets die menschenwürdige Behandlung der Ankommenden und zwar nicht nur durch sie selbst, sondern durch alle agierenden Kolleg:innen. Sie suchte hier mutig und entschieden den direkten Austausch mit der Führungsebene, Personalvertretungen und Gewerkschafter:innen, ohne Rücksicht auf mögliche persönliche Konsequenzen, die nur zu oft deutlich wurden. Ihren größten Beitrag im Bereich Dialogfähigkeit leistete sie aber über die vergangenen Monate als Koordinatorin der Polizeivernetzung bei der „Letzten Generation“. Hier organisiert sie den offenen Dialog zwischen Mitgliedern der Gruppe und Polizist:innen, mit dem Ziel eines umfassenden Verständnisses füreinander und der Entwicklung von Lösungen.
Das Straßenzeitungsprojekt ist eine Plattform für Dialog zwischen benachteiligten Menschen und weniger benachteiligen Menschen der Stadtgesellschaft. Diesen Menschen – Obdachlose, Langzeitarbeitslose, Behinderte, Asylbewerber – gibt der Strohhalm eine Stimme. Jeden Monat bieten dutzende Verkäufer eine neue Ausgabe zum Verkauf an. Die Kommunikation ist nicht eingleisig. Neben sozialen Themen wird Hilfe zur Selbsthilfe angeboten. Der Strohhalm stellt Fragen zu gesellschaftlichen Debatten und mischt sich ein. Er ruft zu ehrenamtlichen Engagement und aktiver Bürgerbeteiligung auf. Das Magazin belebt den Austausch und baut Brücken, sensibilisiert und deeskaliert, bringt Hintergründe und schaut über den Tellerrand.