Rückblick 2022

Das Thema 2022

Rostocks und die Klimakrise – Ideen für praktische Schritte auf dem Weg zur Klimaneutralität

Gegenwärtig ist eine zunehmende Polarisierung innerhalb unserer Gesellschaft zu beobachten – eine neue Kriegsrhetorik, verbunden mit der Unfähigkeit zum Dialog, eine verschärfte Abgrenzung und Ausgrenzung auch innerhalb der Stadtgemeinschaft. Unter dem Eindruck eng aufeinanderfolgender Krisen scheint die Gefahr der Spaltung in Lager, der Verallgemeinerung von der inhaltlichen Position zur Ablehnung einzelner Personen zu wachsen. Intransparenz, vernachlässigte Kommunikation und vorschnelles Handeln führen zu Vertrauensverlust und Mutmaßungen, die die Gesellschaft zerreißen. Umso mehr geht es in diesen Zeiten darum, eine gute Streitkultur und konstruktive Dialogfähigkeit zu befördern und zu stärken. Mit der Richard‐Siegmann‐Medaille 2023 möchten wir dazu beitragen – im Dienste eines friedlichen Mit‐ und Nebeneinanders in der Stadt. Damit betrachten wir einmal mehr einen hochaktuellen und für alle Rostocker*innen relevanten Aspekt unseres Zusammenlebens. Schließlich ist es unsere Fähigkeit zum konstruktiven Gespräch, die unsere Gesellschaft bestmöglich gegen Polarisierung, Ausgrenzung und einem Zerfall in Lager und Filterblasen wappnet.

Medaillenpreisträger

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René Tober (Transportrad MV)

René Tober engagiert sich seit inzwischen mehr als 10 Jahre für nachhaltige Mobilität und hierbei vor allem für das Lastenrad als einfache, aber hocheffiziente Transportform. Inspiriert von Trends aus Kopenhagen brachte er schon sehr früh Lastenräder nach Rostock und präsentierte sie auf öffentlichen Veranstaltungen, darunter dem ersten Klimaaktionstag im Jahre 2012. Er scheute keinen Aufwand, möglichst vielen Rostocker*innen zu verdeutlichen, was mit diesen umweltfreundlichen Transporträdern möglich ist. Aktuell wirkt er an lokalen Projekten wie den Lastenrad-Mobilpunkten im Stadtzentrum und dem Projekt für freie Lastenräder in Rostock mit. Außerdem betreibt er inzwischen ein eigenes Fachgeschäft für Transportfahrräder, in denen er ausführlich berät und Fahrzeuge zum Ausprobieren bereitstellt. Darüber und mit vielen Ideen für Aufbauten und Sonderlösungen sorgt er dafür, dass viele Menschen ein zu ihren Bedürfnissen passendes Lastenrad finden. In der Folge sind es mehr und mehr Menschen, sich trotz der recht hohen Kosten für ein Lastenrad zu entscheiden – und damit zur Reduzierung des Autoverkehrs in der Stadt beitragen. René Tober war und ist in Rostock damit ein zentraler Akteur, dessen Engagement über eine ganze Dekade hinweg dazu beigetragen hat, nachhaltige Mobilität in Rostock salonfähig zu machen.

Kurierkollektiv Cykelbude

Das 2019 gegründete Kurierkollektiv Cykelbude bietet eine ökologisch-nachhaltige Warenlieferung für den Rostocker Innenstadtbereich und das nahe Umland an und setzt dabei vor allem auf Fahrräder und Lastenräder. Aktuell arbeitet es vor allem mit dem Innenstadteinzelhandel zusammen, hier vor allem mit Restaurants, Supermärkten, Biokistenanbietern, Pharmaunternehmen und Blumenläden. Ein weiteres Tätigkeitsfeld ist Transport auf der sogenannten letzten Meile: dem Weg einer Ware zu den Privatkund:innen. Cykelbude kooperiert aber auch mit der Rostocker Stadtverwaltung: Seit Mai 2021 werden im Auftrag der Stadt Ausweisdokumente mit dem Rad an Rostocker Bürger*innen zugestellt, was diese und die Mitarbeitenden der Ortsämter gleichermaßen entlastet. Damit leistet das Unternehmen einen erheblichen Beitrag zur Reduzierung von Feinstaubbelastung und CO2-Emissionen, aber auch der Lärmbelastung. Es möchte einen aktiven Beitrag zur Rostocker Verkehrswende leisten, verzichtet aber auch auf zusätzliche Einwegverpackungen für den Transport und arbeitet mit einer 99% papierlosen Auftragsverwaltung. Allein im Jahr 2022 liegt die vom Unternehmen ermöglichte CO2-Einsparung bislang bei ca. 2,7 Tonnen.

Förderpreisträger

Projekt „Mehr Bio aus der Region für Rostock“

Das Projekt „Mehr Bio aus der Region für Rostock“ engagiert sich für klima- und umweltfreundliches Essen in Rostocker Schulen und Kitas. Hierzu gibt es Gespräche mit Eltern, Schüler:innen sowie mit landwirtschaftlichen Erzeuger:innen und Betreiber:innen von Kita- und Schulküchen. Die verschiedenen Akteure werden untereinander vernetzt und mit Vereinen zusammengeführt, die bei der Umstellung auf klima- und umweltfreundliche Ernährung sachkundig beraten können. Außerdem vermittelt die Initiative Biohöfe im Landkreis, die die Vorteile des klimafreundlichen Ökolandbaus deutlich machen und regionale Lieferketten anzubahnen. Menschen in Rostock, die sich dringend gutes Schulessen wünschen, werden dabei unterstützt, ihre Stimmen an Entscheidungsträger heranzutragen. Der Kerngedanke des Projekts: Wenn wir es schaffen, unser Ernährungssystem für die Rostocker Schulverpflegung jetzt hin zu gutem Schulessen zu verändern, können wir Rostock zu einem Vorbild für andere Städte in MV machen – und einen Beitrag zur Klimaneutralität 2035 leisten. Mit klima- und umweltfreundlicher Verpflegung werden unsere Kinder in den Rostocker Schulen gesünderes Essen bekommen. Verantwortungsbewusste Landwirte in unserem Landkreis und im Rest des Bundeslandes werden endlich wieder auskömmlicher wirtschaften und wir werden dafür nur so viel bezahlen, wie unbedingt nötig ist – denn die kommunale Großküche, zentrale Vision des Projekts, muss im Gegensatz zum externen Caterer keine Gewinne machen.

Sonderpreis für Luise Lukow für Ihre Forschungen zum Rostocker CO2-Budget

Im Rahmen Ihrer Masterarbeit errechnete Luise Lukow in Zusammenarbeit mit der Rostocker Stadtverwaltung und unter wissenschaftlicher Betreuung der Universität Uppsala ein CO2-Budget für die Stadt Rostock, gemessen am 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens. Das Ergebnis ist erschreckend und somit von höchster Bedeutung: Wird der aktuelle Trend fortgesetzt, wird Rostocks CO2-Budget bereits Mitte 2026 aufgebraucht sein. Diese bittere Wahrheit hat bereits fruchtbare Prozesse angestoßen, darunter den Rostocker Wärmeplan oder die Elektrobus-Offensive der RSAG. Außerdem konnten die von Luise Lukow ermittelten Daten eine konstruktive politische Debatte zwischen Zivilgesellschaft, Klimabewegung und Kommunalpolitik anstoßen, deren direkte Folge der Klimaneutralitätsbeschluss 2035 mit seinen Zielen zur Emissionsreduktion ist. In Gesprächen zwischen Kommunalpolitik und Klimabewegung war Luise Lukows Sachverständnis allseits geschätzt. Sie sah und sieht sich hier nicht nur im theoretischen Dienste der Wissenschaft, sondern immer auch als praktische Wissensvermittlerin im Dienste des Klimaschutzes. Auch ihre Erklärungen und Einschätzungen ermöglichten das erfolgreiche Aushandeln des Klimaneutralitätsantrags für die Rostocker Bürgerschaft.

Sonderpreis für Sinah Malz für die Integration von Nachhaltigkeitsthemen in die ingenieurwissenschaftliche Ausbildung

Als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Werkstofftechnik setzt sich Sinah Malz für die Integration von Nachhaltigkeitsthemen in die ingenieurwissenschaftliche Ausbildung ein. Denn Ingenieur:innen können, sofern entsprechend sensibilisiert und sich der aktuellen Situation bewusst, durch ihr Wissen und ihre Arbeit in der Technologiebranche einen wichtigen Teil zur Bewältigung der Klimakrise beitragen. Durch Recherchen und Gespräche mit Kolleg*innen wurde ihr klar, dass es hierfür im Idealfall zwei neue Lehrveranstaltungen braucht: Eine, in der die Sensibilität für das Thema erhöht wird, und eine, die konkretes Handwerkszeug vermittelt. Inspiriert durch entsprechende Angebote an der Technischen Universität Berlin holten Sinah Malz und einige Mitstreiter*innen das interdisziplinäre Seminar „Blue Engineering“ zum Thema soziale und ökologische Verantwortung von Ingenieur*innen an die Rostocker Fakultät für Maschinenbau und Schiffstechnik. Dort findet sie nun seit 2021 regelmäßig statt. Für die Vermittlung des “konkreten Handwerkszeuges” entwickelte Sinah Malz federführend eine neuartige Modulstruktur, koordinierte die Zusammenarbeit der beiden daran mitwirkenden Lehrstühle, stellte die Finanzierung für eine führende Software zur Werkstoffauswahl sicher und hielt – gerade acht Wochen nach der Geburt ihres ersten Kindes – ihre ersten eigenen Vorlesungen für das Modul. Sinah Malz ist zudem Mitglied des Runden Tisches Nachhaltigkeit und Diversity an der Universität Rostock.